für den 06.06.2023
mehr"Die Wüste wird zum Acker werden"
Als im Jahre 1685 mit Kurfürst Philipp Wilhelm I. ein streng katholischer Herrscher den Thron der Pfalz bestieg, hörten die Streitigkeiten zwischen Evangelischen und Katholischen nicht auf. Auch unter seinem Nachfolger Karl Philipp nahmen die Unterdrückungen der Evangelischen ihren Fortgang. Dem Kaiser, der eine friedliche Lösung anstrebte, fügte sich der Kurfürst nur zum Schein. Um diesen Unterdrückungen und gewaltsamen Bekehrungsversuchen zu entgehen und endlich ihres evangelischen Glaubens froh zu werden, entschlossen sich in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts viele Hunderte von Familien, ihre Heimat zu verlassen.
Im Frühjahr 1741 hatten wiederum pfälzische Auswanderer auf drei Rheinschiffen die Reise nach Rotterdam angetreten, um von dort nach Amerika auszuwanden. Da zwischen England und Spanien seit 1739 Krieg tobte, der in der Hauptsache ein Seekrieg war und an dem die Niederlande an der Seite Englands teil nahmen, waren Handelsschiffe aufs höchste gefährdet. Die Kapitäne wagten nicht auszulaufen, oder verlangten ein unerschwingliches Aufgeld. Frühere Emigrantenzüge waren deshalb in Rotterdam liegengeblieben und die Auswanderer dem Lande zur Last gefallen. Deshalb wurde den Schiffen mit den Pfälzern die Weiterfahrt an der Grenze verweigert.
So warteten die Auswanderer wochenlang auf den Rheinschiffen bei Schenkenschanz, bis ein Gerichtsurteil den Schiffern gestattete, die Emigranten auszuladen und heimwärts zu fahren. Die Pfälzer sahen nun keine Möglichkeit mehr, nach Amerika zu gelangen. Ein Teil der Emigranten folgte bald darauf dem Rat des Schulmeisters Aue und versuchte, quer durch preußische Lande, Ostpreußen zu erreichen. Ein anderer Teil nahm das Angebot der Stadt Goch an, auf der sogenannten Gocher Heide zu siedeln.
Am 23. August 1741 wurde mit der Stadt Goch ein Erbpachtkontrakt verfaßt. Es waren etwa zwanzig Familien, die alsbald mit den Rodungsarbeiten begannen. Alle wußten, daß ihnen harte und schwere Jahre bevorstanden; war doch an die Ansiedlung die Bedingung geknüpft, daß sie alle notwendigen Arbeiten aus eigenen Mitteln, die sehr gering waren, bewerkstelligen sollten. Sie wohnten in dumpfen Erdhöhlen, was eine Nesselfieberepidemie zur Folge hatte, und erst im Winter nahm sich der Gocher Magistrat, die reformierte Gemeinde in Goch und einige gutherzige Leute dieser Armen an und unterstützten sie mit Lebensmitteln und Geldspenden. Vor allem der Arzt Dr. Petrus Wilhelm Speck, Ratsherr in Goch, war ein großer Gönner, der sich sogar später von der Regierung die Erlaubnis erwirkte, in Pfalzdorf wohnen zu dürfen.
Im Frühjahr 1742 erteilte der Magistrat von Goch den Emigranten den guten Rat, weiterzuziehen, da ihnen keine Unterstützung bei der Siedlungsarbeit zuteil werden könne, und vom König noch keine Antwort eingetroffen war. Aber die Pfälzer kämpften um ihre neue Heimat, die sie nun nicht mehr freigeben wollten, nachdem sie fast ein Jahr in härtester Arbeit die ersten Rodungsarbeiten durchgeführt hatten. Der Winter 1742/1743 wurde noch schlimmer als der vorige; aber die Emigranten blieben allen Vorstellungen der Behörde gegenüber standhaft.
Am 2. April 1743 versuchten die Pfälzer das letzte. Auf Anraten des Geheimrates Freiherrn von Motzfeld sandten sie zwei ihrer Gefährten, Adam Becker und Michel Grossart, mit einer Bittschrift zu König Friedrich II., den späteren Friedrich dem Großen. Der König entschied am 30. April 1743, daß die Stadt Goch verpflichtet sei, „behülflich zu seyn, daß die bewachsenen Plätze zu Äckern rein und uhrbar gemacht werden“.
Die Vermessungen wurden durchgeführt und die Erbpachtverträge ratifiziert. Aus Emigranten wurden Siedler. Sie erhielten in den folgenden Jahren und Jahrzehnten ständig neuen Zuwachs aus der alten Heimat. Kirchlich und kommunal gehörten die Pfälzer zu Goch. Dort besuchten sie auch den Gottesdienst; nur die lutherischen Familien hielten sich zur lutherischen Gemeinde nach Kleve. 1745 gaben die Gründer der Gemeinde den Namen "Pfaltzorth", der dann einige Jahre später in „Pfaltzdorff“ und „Pfalzdorf“ umgewandelt wurde. Die Kinder gingen vorerst nach Goch zur Schule, aber schon 1745 erwirkten die reformierten Pfälzer, daß ihre Jugend von einem ihrer Landsleute, Valentin Conrad, unterrichtet werden durfte. Schulmeister der Lutheraner war Johannes Seemann.
Unter den Pfälzern auf der Gocher Heide waren also Reformierte und Lutheraner, und zwar zählten sich 211 zum ersten und 81 zum zweiten Bekenntnis. So sehr die Pfälzer in allen Belangen der Ansiedlung zusammenhielten, begann mit dem Plan zum Bau einer Kirche auf der jungen Siedlung ein Konfessionskrieg im kleinen zwischen Reformierten und Lutheranern. Die Reformierten hatten in dem Freiherrn von Motzfeld ihren größten Gönner. Er hatte nicht nur in Holland Geld gesammelt, sondern dort auch die Zusage erhalten, die reformierte Gemeinde so lange zu unterstützen, bis sie auf eigenen Füßen stehen könne. Er setzte für den Prediger ein Legat von 5.000 Gulden, für den Schulmeister eines von 1.000 Gulden aus. Schon im Jahre 1751 fand die Wahl des ersten reformierten Predigers statt. Es war Johann Wilhelm Francken. Auch die Lutheraner sorgten bald für einen Prediger. Im März 1755 beriefen sie Johann Philipp Wetterbauer, der im Mai 1755 ordiniert wurde. Freiherr von Motzfeld und seine Gemahlin hielten bis an ihr Lebensende die Hand über ihre Schützlinge in Pfalzdorf. Außer einigen Bauerngütern schenkte von Motzfeld der Gemeinde ein Kapital von 1.000 Gulden. Seine Gattin vermachte ihr testamentarisch ein Kapital von 12.000 Gulden.
Die konfessionellen Auseinandersetzungen unter den Pfälzer-Ansiedlern führten dazu, daß zwei Kirchen gebaut wurden. Am 1. Oktober 1775 wurde die reformierte Kirche eingeweiht, am 24. Oktober 1779 die lutherische. Beide Konfessionen traten 1824 förmlich der Union bei, blieben aber selbständige Gemeinden, wobei die damals reformierte den Namen Westgemeinde, die ehemals lutherische den Namen Ostgemeinde annahm.
1921 vereinigten sie sich zur Evangelischen Kirchengemeinde Pfalzdorf. Im November 1800 trat Pfalzdorf zum erstenmal als selbständige Kommunalgemeinde auf. Im südlichen Teil der Gemeinde hatten im Laufe der Zeit viele Katholiken eine neue Heimat gefunden.
Von Pfalzdorf aus haben sich Söhne und Enkel der ersten Pfälzer in fast allen Orten der Synode angesiedelt. 1769 zogen Pfälzer zur Asperheide, 1820 entstand durch allerhöchsten Befehl König Friedrich Wilhelm III. Louisendorf und 1827 Neulouisendorf. Schließlich siedelten die Pfälzer auch bei Aurich in Ostfriesland, wo 1777 Plaggenburg, 1802 Neu-Pfalzdorf und 1824 Dietrichsfeld entstanden. Weitere Auswanderungen erfolgten um 1880 - 1890 in den Bezirk Posen im ehemaligen Westpreußen.
In den geschlossenen Siedlungen Pfalzdorf, Louisendorf und Neulouisendorf haben die Pfälzer nicht nur ihre alte pfälzische Mundart, sondern auch ihre Sitten und Gebräuche erhalten. Im Gebiet der Kirchengemeinde, politisch teils auf Pfalzdorfer, teils auf Asperdener Gebiet liegend, entstand um 1950 die Reichswaldsiedlung A. In diesem Teil wurden vorwiegend evangelische Flüchtlinge aus den ehemaligen Ostprovinzen, dem Sudetenland und Siebenbürgen angesiedelt. Auch rheinische Familien haben hier eine neue Heimat gefunden. Gebaut wurden Bauernstellen, Siedlungen für Handwerker, Stellen für Gärtner und Kleinsiedlungen für Arbeiter und Beamte.
Am 15. September 1951 war die Einweihung und Namensgebung des Reichswalddorfes Nierswalde. Am 19. Juli 1956 wurde die evangelische Kirche in Nierswalde im Beisein des Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Dr. Held, eingeweiht. Nierswalde gehört zur Kirchengemeinde Pfalzdorf.
Quelle: Chronik der Ev.Kirchengemeinde Pfalzdorf
Verfasser: Dr. Werner Scheler
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